Zwischenlandung oder neue Heimat?
Zwei Teenager erzählen von der Flucht aus der Ukraine, vom Leben hier und von Zukunftserwartungen.
Die vergangenen Monate im Leben der beiden 15-Jährigen waren mit vielen Fragezeichen versehen. Was wird aus der Heimat? Was aus den Freunden? Wo kommen wir hin? Und was bringt die Zukunft? Die letzte Frage im Reigen steht auch heute noch im Raum – und eine Antwort haben die beiden jungen Mädchen darauf nicht. Denn keiner weiß, was wird. Somit bleibt die Zukunft offen. Und anders als ältere Geflüchtete, wie etwa ihre Eltern, haben sie sich schneller arrangiert mit der Situation, die aus heiterem Himmel wie damals die russischen Raketen in den ersten Tagen des Überfalls über sie kam. Die Geschosse zwangen sie in Schutzräume. Tagelang, erinnert sich Anita Khasanova, die aus der Stadt Dnipro stammt, unweit von Saporischschja. Ähnlich war es bei Vasylysa Varetsia. Sie kommt aus Charkiw. Ortsnamen, die man aus der Tagesschau kennt und die sich im Kopf mit furchtbaren Bildern ausgebombter und brennender Häuserblocks verbinden. Die Wohnhäuser von Anita und Vasylysa stehen noch. Mit Zug, Bus und Auto Der Krieg vertrieb auch sie und ihre Familien. Ende März sei sie mit Mutter und Schwester aufgebrochen. Es sei eine abenteuerliche Flucht gewesen, mit dem Zug und dem Bus durch Polen und Tschechien. „Wir haben lange auf einen Zug gewartet, mit ganz vielen anderen“, sagt sie. Es sei kalt gewesen. Und als der Zug gekommen sei, seien alle gerannt, um reinzukommen. Ihr Vater habe da bleiben müssen, sei erst viel später nachgekommen, als das Gebiet, wo sie lebten, von Russen besetzt wurde und er deshalb ausreisen durfte. Neue Heimat Reichenbach Nach dem Zug sei es mit dem Bus weitergegangen – „wir haben viel für die Fahrt zahlen müssen“, erinnert sie sich, „Geld, das wir gar nicht hatten!“ Nach zwei Wochen seien sie dann in Roding gelandet, da hier bereits Freunde von Freunden zu Hause gewesen seien, wo sie mit ihrer Familie heute in einer Wohnung ein neues Zuhause gefunden hat. Bei Vasylysa ging es auch im März mit den Eltern und der Schwester im Auto Richtung Westen. Sie seien dann irgendwann in Regensburg gelandet, hätten dort eine Adresse bekommen von einer Familie in Reichenbach, die ein Quartier für Geflüchtete angeboten habe. Sie seien dort von einer ganz tollen Familie empfangen worden, wo sie bis heute leben würden, sagt die 15-Jährige. „Die Sonne schien, als wir ankamen!“, erinnert sich Vasylysa. Der Start sei für die Familie schwierig gewesen, so weit weg von der Ukraine, wo alles zurückgeblieben sei und man irgendwie auch alles verloren habe, so Anita. Sie selbst hatte weniger Probleme mit dem Neuen, sei offener gewesen: „Ich wollte Neues sehen!“ Sie habe gedacht, dass vieles hier anders sei als in der Heimat. Doch vieles sei ähnlich, nur die Mentalität der Menschen sei anders – viele sei hier freundlicher und offener. Beide haben noch über Telegram Kontakt zu ihren ukrainischen Mitschülern, die mittlerweile über viele Länder Europas verteilt sind. Und Anita hat auch noch regelmäßig Online-Unterricht am Nachmittag mit ihrem ukrainischen Lehrer. Zu den Mitschülern in Roding sei es schon einmal schwierig, in Kontakt zu kommen. Mancher traue sich nicht oder wisse nicht, wie. Anita hilft da der Sport. Sie spielt in Roding Volleyball, dort sei sie mit offen Armen empfangen worden. Deutschland haben die beiden Mädchen vor ihrer Flucht nie gesehen. „Es ist schön hier!“, sagen sie. Und auch die Sprache, die so viel anders ist, als die eigene, haben sei nie zuvor gehört. Und doch sprechen sie sie heute – wenn auch bei mancher Wortsuche Englisch noch einen Ausweg bietet. Und wie geht es weiter? Die Zukunft sei unbekannt, sagen beide. Doch schulisch wollen sie beide weiterkommen – die FOS oder das Gymnasium schaffen, um studieren zu können – Anita Naturwissenschaftliches, Vasylysa vielleicht Sprachen. Ob eine Rückkehr in die Heimat infrage kommt, wo womöglich alles kaputt ist, wissen sie nicht. „Es wird, wie es wird“, sagt Vasylysa.
(Quelle: Bayerwaldecho vom 01.03.2023)